GASTBEITRAG: "Trost als Bindungswurzel"
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"Trösten heißt, Gefühle zu begleiten"
von Gundula Göbel
Gundula Göbel ist Kinder- und Jungendlichenpsychotherapeutin
Sie konnte bisher über 30 Jahre therapeutische Erfahrungen mit Babys, Kindern, Jugendlichen und deren Familien sammeln.
Als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin konnte ich in meiner Praxis erleben und erfahren, wie wichtig das Trösten und Begleiten von Gefühlen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ist. Als ich 2012 das Bindungsbaum-Konzept entwickelte, war es daher selbstverständlich für mich, Trost darin als eine entscheidende Bindungswurzel zu benennen. Eine verlässliche Bindung zum Kind setzt das angemessene Trösten vom Säuglingsalter an voraus.
Als ich vom Trost-Tiger und den von Petra Berghaus entwickelten Produkten hörte, war ich erleichtert. Denn in der von mir entwickelten Trosttankstelle ist die Säule Co-Regulation sowie Übergangsobjekte ganz wichtig.
Der wunderbare Trost-Tiger bietet nicht nur für Kinder Trost, sondern auch für Erwachsene. Leider wird das oft vergessen. Wir brauchen vom Anfang unseres Lebens bis ins hohe Alter Trost und können durch angemessenes Trösten niemals verweichlicht oder verwöhnt werden. Aber ohne Trost sind wir einsam und das Gefühl von Verbundenheit ist nicht spürbar.
Ein Kind kann zum Glück von Geburt an durch Weinen, Schreien, starke Unruhe oder Stressreaktionen zeigen, dass es sich nicht wohlfühlt, Angst hat oder sein Bedürfnis nach Nähe, Nahrung oder Ruhe nicht erfüllt ist. Es kann sich bei starken Gefühlen durch Stressmomente ab einem gewissen Level nicht wieder eigenständig beruhigen und seine Gefühle kanalisieren. Der Grund dafür ist die Entwicklung des Gehirns, diese braucht noch viel Zeit und Begleitung.
Fühlt der Säugling oder das Kind starke Emotionen wie Angst, Furcht, Wut oder Trauer, hat es keine Möglichkeit, selbst aus dem Gefühlskarussell herauszukommen oder dies nicht erst aufkommen zu lassen. Dabei kann ein Kind durch Situationen in Stress oder starke Gefühle geraten und emotional völlig überfordert werden, die wir als Erwachsene vielleicht als selbstverständlich und keineswegs stressauslösend wahrnehmen. Dies können Unruhe, bestimmte Gerüche oder eine unerwartete Situation sein. Wenn ein Säugling Hunger hat, Nähe braucht oder sich unwohl fühlt, braucht er prompte Versorgung. Wir selbst haben über Jahre das Wissen und die Erfahrungen abgespeichert, dass wir oftmals auf Essen oder Nähe warten müssen, und können meist etwas Geduld aufbringen und unser Unbehagen steuern. Ein Kind lebt im Hier und Jetzt und konnte noch nicht die Sicherheit und das Wissen abspeichern oder verankern, dass sein Bedürfnis bald befriedigt wird, denn dieses setzt eine gewisse Hirnreifung voraus.
Wann ist Trost notwendig?
Immer dann, wenn Babys bzw. Kinder sich nicht wohl fühlen, wenn sie aufgewühlt sind, wenn sie nicht schlafen können, wenn sie beschämt oder entwertet werden, müssen sie getröstet werden. Natürlich gilt dies auch dann, wenn sie weinen oder Schmerzen haben oder ihre Gefühle sie überfluten z.B. bei Wut, Ärger oder Enttäuschung. Kinder brauchen ganz viel Trost, denn je kleiner sie sind, umso weniger können sie aufgrund der Hirnentwicklung ihre Gefühle selbst regulieren. Säuglinge und Kinder brauchen für eine psychisch gesunde Entwicklung Co-Regulation. Aber auch Jugendliche und Erwachsene können aufgrund von Gefühlsüberflutungen z.B. bei Angst, Krankheit, Scheidung, Trennung, Kriegs- oder Fluchterfahrungen, Unfall oder beim Tod eines nahestehenden Menschen sich nicht alleine trösten, sie brauchen dringend Menschen an ihrer Seite, welche durch eine gewisse Co-Regulation stabilisieren und sie in ihren Gefühlen begleiten.
Schreit das Baby, braucht es unbedingt körperliche Nähe als Trost, sei es durch Berührung, sei es durch Wiegen oder Worte. Lässt man ein schreiende Baby allein, gerät der Säugling in eine extreme Angstsituation, in der große Mengen an Stresshormonen freigesetzt werden. Das Baby hört zwar irgendwann mit dem Schreien auf, und jeder glaubt, alles ist gut. Dabei ist das Aufhören ein Aufgeben – nichts anderes also als ein Akt der Verzweiflung. Mit seinem Kummer allein gelassen zu werden, ist eine äußerst schmerzliche Erfahrung, die Kinder mit ins Leben nehmen. Denn so, wie wir getröstet werden, gehen wir durchs Leben.
Manche Erwachsene haben Angst, sie könnten ihre Kinder durch das Trösten zu sehr verwöhnen und Kinder würden aufgrund von zu viel Trost allzu wehleidig werden. Aus meiner Praxiserfahrung kann ich Eltern und Fachkräfte beruhigen, denn bei angemessenem und mitfühlendem Trösten ist eine solche Entwicklung gar nicht möglich. Wehleidigkeit oder eine gewisse Härte gegen sich selbst gibt es bei Kindern oder Erwachsenen, die von ihren Bezugspersonen nicht oder unangemessen (ständige Ablenkung, Essen als Trost, Schimpfen oder Geschenke) „getröstet“ wurden.
„Beim Trösten geht es ums Dasein, Zuhören, Ermutigen, weniger um Lösungen.“
Um es zu verdeutlichen: Es geht hier nicht darum, nicht auch mal eine Süßigkeit zu geben oder die Kinder den einen oder anderen Film schauen zu lassen. Falscher oder oberflächlicher Trost resultiert aus einer Grundhaltung heraus, dass die Emotionen der Kinder nicht oder zu wenig wahrgenommen werden oder Erwachsenen sogar Angst machen. Dabei bedeutet Trösten, die Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Gefühle des anderen unbewertet anzunehmen auch starke Gefühle von Wut, Traurigkeit oder Angst zu begleiten und nicht gleich mit Ablenkungen oder Geschenken zu kompensieren. Wir haben es leider oftmals selbst nicht anders gelernt und glauben bei starken Gefühlen, sofort ins Handeln kommen zu müssen. Dabei geht es zunächst einmal um Ermutigung und Zuhören, weniger um Lösungen.
Bei starken zu tröstenden Gefühlen, ob beim Säugling oder Erwachsenen, ist auch immer unser Stresssystem aktiviert. Deshalb sollten wir Selbstfürsorge betreiben, also achtsam unsere Beziehungen pflegen und darauf schauen, dass unsere eigenen Bedürfnisse nicht untergehen. Unseren Selbstfürsorgetank zu füllen ist eine entscheidende Aufgabe. Nur so können wir gute „Trost-Tankstellen“ für unsere Kinder sein (siehe Trosttankstelle in meiner Broschüre „Die Kraft des Tröstens“).
Trostspender können auch Kuscheltiere wie der Trost-Tiger sein, Karten mit stärkenden Sätzen, Kleidungsstücke von Bezugspersonen oder Ähnliches. Tröstend sind manchmal bestimmte Rituale, Berührungen oder Verlässlichkeit an sich. Bei Jugendlichen, die oft weniger Körperkontakt und weniger Worte mögen, sind tröstende Blicke, Kissen, Karten, Tiere oder eine bestimmte Musik Tröster.
Wer Interesse bekommen hat, kann in dem Buch „Trost. Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden“ Beltz Verlag (in jeder Buchhandlung erhältlich) oder in meiner Broschüre „Die Kraft des Tröstens“ (www.thekla.de/shop) gerne weiterlesen.
Gundula Göbel, Kinder- und Jungendlichenpsychotherapeutin
Traumatherapeutin | Paar- und Familientherapeutin | Spieltherapeutin | Autorin |Referentin
21244 Buchholz in der Nordheide
mail@gundula-goebel.de, www.gundula-goebel.de
Veröffentlichungen siehe: www.thekla.de/shop